Gedenkveranstaltung zu Ehren von Genossen Şiko (Kikan von Freyberg-Ali Durak)

Zu Ehren unseres am 20.11.2021 verstorbenen Genossen Şiko (Kîkan von Freyberg – Ali Durak) fand in Berlin am 07. Mai 2022 eine Gedenkveranstaltung statt. Coronabedingt konnten wir damals keine Veranstaltung durchführen. Jetzt wurde sie nachgeholt.

Auf der Gedenkveranstaltung kam zunächst Jutta von Freyberg mit einer Darbietung von Liedern und Gedichten zu Wort, danach Savaş Yener, der über das Leben und den politischen Kampfweg des Verstorbenen berichtete. Unten geben wir die Beiträge von beiden Genossen wieder.

Zum Gedenken an Kîkan von Freyberg

Zeit zu erinnern, Zeit zu trauern –

Zeit zu kämpfen?

Diejenigen von uns, die an der Beerdigung von Kîko teilgenommen haben, waren trotz Trauer und stillen Gedenkens glücklich über die musikalische Begleitung. Deshalb haben Savaş und ich vereinbart, dass wir am heutigen Tag, an dem Savaş vieles über Kîkos/Sikos politisches Leben und Wirken insbesondere im Rahmen der TKP berichten wird, auch die Musik sprechen lassen. Instrumentale Musik, Lieder und Gedichte, die mit ihrer ganz eigenen Sprache das vermitteln, was Kîkos Leben, Denken, Hoffen und Fühlen ausgemacht hat. Und was auch uns alle als seine Freunde, seien wir Angehörige oder Genossen, berührt:

Die großen Niederlagen, die wir erlebt haben und erleben, Niederlagen, die uns zu Boden geschmettert haben und von denen wir uns nicht so schnell wieder aufrappeln werden, obwohl wir doch alle so viel Geschichtskenntnis haben, dass unser Kopf weiß: So wie es jetzt ist, wird es nicht bleiben.

Beginnen will ich hier noch nicht mit Musik, sondern mit einem Gedicht, in dessen Mittelpunkt die Auseinandersetzung mit der Niederlage steht. Es wurde von Bert Brecht 1933 geschrieben. Der Faschismus hatte in Deutschland gesiegt, die Herrschaft der Monopole war zementiert, die Arbeiterbewegung gespalten und zerschlagen. Der nächste große Krieg war absehbar. Es war eine gewaltige Niederlage. Dieses Gedicht, so finde ich, passt nicht erst seit dem Tod Kîkos zu seinem und zu unserem Leben:

GEGEN DIE OBJEKTIVEN

Bertolt Brecht, 1933

Wenn die Bekämpfer des Unrechts

Ihre verwundeten Gesichter zeigen

Ist die Ungeduld derer, die in Sicherheit waren

Groß.

Warum beschwert ihr euch, fragen sie

Ihr habt das Unrecht bekämpft! Jetzt

Hat es euch besiegt: schweigt also!

Wer kämpft, sagen sie, muß verlieren können

Wer Streit sucht, begibt sich in Gefahr

Wer mit Gewalt vorgeht

Darf die Gewalt nicht beschuldigen.

Ach, Freunde, die ihr gesichert seid

Warum so feindlich? Sind wir

Eure Feinde, die wir Feinde des Unrechts sind?

Wenn die Kämpfer gegen das Unrecht besiegt sind

Hat das Unrecht doch nicht recht!

Unsere Niederlagen nämlich

Beweisen nichts, als daß wir zu

Wenige sind

Die gegen die Gemeinheit kämpfen

Und von den Zuschauern erwarten wir

Daß sie wenigsten

Beschämt sind.

Ja, wir sind besiegt. Aber das ist nicht allein der Grund, warum wir zurzeit schweigen. Wir sehen, dass wir wenige sind, viel zu wenige. Und dass wir Zeit brauchen, um die eigenen und neuen Kräfte zu sammeln. Wir wissen sehr wohl, dass die Welt nicht so bleiben wird, wie sie ist.  Und wir werden dieses Wissen und unsere Erfahrungen weitergeben. Mit aller Kraft, die uns geblieben ist. In vielen Liedern aus den revolutionären Kämpfen der vergangenen Jahrhunderte wurde das thematisiert. Sehr poetisch heißt daher der Refrain in Brechts Lied von der Moldau: Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.

Nur Lied   

Am Grunde der Moldau wandern die Steine

Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.

Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.

Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.

Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne

Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.

Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne

Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt.

 Am Grunde der Moldau wandern die Steine

Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.

Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.

Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.

(1) Gisela May, Das Lied von der Moldau

Natürlich wissen wir, dass der Tag auf die Nacht folgt. Aber noch – und schon wieder – fühlen wir uns in der Nacht, niedergedrückt von der Schwere der wahrhaft historischen Niederlage, durch die in riesigen Teilen der Welt das große Experiment zum Scheitern gebracht wurde. Es war der Versuch, für die Mehrheit der armen, abgehängten, unterdrückten, ausgebeuteten Menschen eine menschenwürdige, freie Gesellschaft aufzubauen, den Sozialismus.

Unsere Musik, unsere Lieder bringen nicht nur unseren Schmerz zum Ausdruck, sondern sind auch Zeugnisse unserer kraftvollen Aufstände gegen die Not, sind Ausdruck unserer Freude, wenn wir erfolgreich waren. Sie sprechen von unserer Hoffnung. Sie künden von unserem historischen Optimismus: Eines Tages wird es uns gelingen, die Ausbeuter, die Verderber unseres Lebens und der Zukunft unserer Kinder zu entmachten und die Kriegstreiber um des Profites willen und ihre folternden Handlanger für immer zu entwaffnen.

Wir? Wenn ich über das Wir nachdenke, dann muss ich mir eingestehen: Wir in Deutschland, wir gehören gerade nicht zum Kraftquell der Revolution. Aber wir, – auch wenn das zu viele noch nicht verstanden haben, – wir sind auch die Völker Lateinamerikas, Afrikas und Asiens, die sich zum Teil mit wachsender Macht gegen die imperialistischen Pläne der Unterwerfung stemmen. Wir – wir sind auch das kleine große Kuba, das sich trotz aller Pressionen der USA und der gesamten westlichen Welt und der von ihnen erzwungenen Armut nicht ergibt. Wir – wir sind auch das kurdische Volk, das seit vielen Jahrzehnten einen bewaffneten Befreiungskampf führt. Wir – das sind auch die in Unwissenheit und nationalistischer Verblendung gehaltenen Unterklassen, das Fußvolk und Kanonenfutter der Mächtigen. Wir – das sind auch die in jüngster Zeit niedergeworfenen, zerschlagenen Bewegungen der Völker auf allen Kontinenten, die für die Erhaltung ihrer Existenz, für die Entwicklung ihrer menschlichen, nationalen Würde, ihrer Sprache, Kultur, Autonomierechte aufgestanden sind. Und wir müssen es sein, die auch auf der Seite derer stehen, die sich mit wachsendem Selbstbewusstsein gegen die ökonomische Ausbeutung, politische und kulturelle Erniedrigung und militärische Erpressung durch den globalen Imperialismus zur Wehr setzen.

So viele unterschiedliche Phasen unserer Kämpfe finden gleichzeitig auf unserer Erde statt: das Klagen über unser Elend und unsere Not, die Erkenntnis unserer Machtlosigkeit, die Sammlung unserer Kräfte, das Organisieren unseres Kampfes, unsere Fortschritte und unsere Fehler, unsere Siege und unsere Niederlagen.

Unseren Siegen folgten nur zu oft halbe oder erneute Niederlagen – und nur selten wieder neue Siege. Ich selbst habe das miterleben müssen an den Beispielen Vietnam, Chile, Portugal, Griechenland, Angola, Mozambique, Südafrika, Sowjetunion und aller sie umgebenden Staaten des realen Sozialismus. Doch vom Imperialismus entzweite Brüder beginnen, sich einander wieder anzunähern – Russland und China; beides Staaten, die – obwohl keine sozialistischen Staaten – seitens des „Imperiums“ existenziell bedroht sind.

Auch diese Gedanken haben unsere Poeten und Sänger zu unterschiedlichen Zeiten, ja sogar schon der weise Salomon, für uns formuliert und gesungen. Wir stehen mit dieser Erkenntnis nicht allein.

(2) Zum Beispiel Hannes Wader: Seit Ewigkeiten sehn… 

Nur Lied

Seit Ewigkeiten, sehn, sehn, sehn

Wir unsere Welt sich drehn, drehn, drehn

Und doch hat ein Jegliches seine Zeit auf Erden:

Die Zeit zu werden

Die Zeit zu vergehn

Die Zeit zu ernten

Die Zeit zu säen

Die Zeit der Freude

Die Zeit des Lеids

Die Zeit des Lachеns

Die Zeit zu trauern

Seit Ewigkeiten, sehn, sehn, sehn

Wir unsere Welt sich drehn, drehn, drehn

Und doch hat ein Jegliches seine Zeit auf Erden:

Die Zeit zu bauen

Die Zeit zu zerstörn

Die Zeit des Duldens

Die Zeit sich zu empörn

Die Zeit zu kämpfen

Die Zeit zu fliehn

Die Zeit zu hassen

Die Zeit zu lieben

Seit Ewigkeiten, sehn, sehn, sehn

Wir diese Welt sich drehn, drehn, drehn

Und doch hat ein Jegliches seine Zeit auf Erden:

Die Zeit zu verstummen

Die Zeit zu schrein

Die Zeit der Reue

Die Zeit zu verzeihn

Die Zeit der Erlösung

Die Zeit der Qual

Die Zeit der Wärme

Die Zeit der Kälte

Seit Ewigkeiten, sehn, sehn, sehn

Wir unsre Welt sich drehn, drehn, drehn

Und doch hat ein Jegliches seine Zeit auf Erden:

Die Zeit zu gewinnen

Die Zeit zu verliern

Die Zeit des Zorns

Die Zeit der Gewalt

Die Zeit der Versöhnung

Die Zeit für den Sieg

Den Sieg des Friedens in der Welt über den Krieg

Seit Ewigkeiten, sehn, sehn, sehn

Wir unsre Welt sich drehn, drehn, drehn

Und doch hat ein Jegliches seine Zeit auf Erden

Ich will im Folgenden die Lieder und Musikstücke nur kurz benennen und erklären, wer sie sing, geschrieben hat und wann sie entstanden sind.  In meiner Auswahl befindet sich als erstes Lied eines aus dem deutschen Bauernkrieg. Es ist fast 500 Jahre alt und berichtet u.a.  über einen der Bauernführer, Florian Geyer. Es wird von Ernst Busch gesungen.

Nur Lied

Wir sind des Geyers schwarzer Haufen

Wir sind des Geyers schwarzer Haufen, heia hoho,

und wollen mit Tyrannen raufen, heia hoho.

Refrain: Spieß voran, drauf und dran,

setzt auf’s Klosterdach den roten Hahn!

Wir wollens dem Herrn im Himmel klagen, kyrieleys,

daß wir den Pfaffen nicht dürfen totschlagen, kyrieleys.

Uns führt der Florian Geyer an, trotz Acht und Bann,


den Bundschuh führt er in der Fahn’, hat Helm und Harnisch an.

Als Adam grub und Eva spann, kyrieleys,

wo war denn da der Edelmann? Kyrieleis.

Des Edelmannes Kindelein, heia hoho,

das schicken wir in die Höll’ hinein, heia hoho.

Des Edelmannes Töchterlein, heia hoho,

soll heute uns’re Buhle sein, heia hoho.

Nun gilt es Schloß, Abtei und Stift, heia hoho,

uns gilt nichts als die Heil’ge Schrift, heia hoho.

Das Reich und der Kaiser hören uns nicht, heia hoho,

wir halten selber das Gericht, heia hoho.

Ein gleich’ Gesetz das wollen wir han’, heia hoho,

vom Fürsten bis zum Bauersmann, heia hoho.

Wir woll’n nicht länger sein ein Knecht, heia hoho,

Leibeigen, frönig, ohne Recht, heia hoho.

Bei Weinsberg setzt es Brand und Stank, heia hoho,

gar mancher über die Klinge sprang, heia hoho.

Sie schlugen uns mit Prügeln platt, heia hoho,

und machten uns mit Hunger satt, heia hoho.

Geschlagen ziehen wir nach Haus, heia hoho,

uns’re Enkel fechten’s besser aus, heia hoho.

            (3) Ernst Busch: Wir sind des Geiers schwarzer Haufen

In meiner Liedauswahl befinden sich Lieder aus der großen Französischen Revolution, hier von Dieter Süverkrüp gesungen.

Zunächst ein Lied der Bitternis, in dessen erster Strophe es heißt: Man sagt uns, Knechtschaft sei nicht bitter, da könnten wir auch glücklich sein.

Nur Lied

Man sagt uns

Man sagt uns, Knechtschaft sei nicht bitter,

da könnten wir auch glücklich sein.

Freiheit ging voraus dem Gewitter, die Ruhepause sei nur kleine.

Mann, Mann, Mann das kann sein.

Mann, Mann, mir fällt nichts ein.

Aber das hoffe ich für später,

die Enkel mein

werden froh sein

über die Taten ihrer Väter.

(4) Dieter Süverkrüp: Ca ira. Man sagt uns, Knechtschaft sei nicht bitter ….

Und danach ein Lied des Triumphes, ebenfalls von Dieter Süverkrüp:

Die Freiheitsmützen sieht man ziehn! Sie zogen nicht nur durch Frankreich und ganz Europa: Die Freiheitsmützen zogen sogar nach Haiti und in die andern Kolonialgebiete Frankreichs, Großbritanniens und Spaniens. Sie hinterließen überall ihre Spuren.

Nur Lied

Die Freiheitsmützen

Die Freiheitsmützen sieht man ziehn…

(5) Dieter Süverkrüp

Erfolge, gar Siege zu erringen, war und blieb für uns immer schwer. Im Umbruch der französischen Revolution gelang es den versklavten Schwarzen auf Haiti, die auf den Feldern der französischen Großgrundbesitzer schufteten und starben, sowohl die Sklaverei als auch die Kolonialherrschaft zu beseitigen. Erstmalig und einmalig in der Menschheitsgeschichte! Aber ihre Opfer waren immens. Und immer gab es schreckliche, blutige, mörderische Roll-Backs der einmal besiegten, ehemaligen und oftmals neuen Herren.

Und dann kam 1871 die kurze Zeit der Pariser Kommune, die „Zeit der Kirschen“. Sie stieß eine Tür in die Zukunft auf und ließ den Blick frei auf eine leuchtende Perspektive, die plötzlich möglich schien: eine Gesellschaft, in der die alten Machtverhältnisse und die alten staatlichen Strukturen gänzlich umgestoßen, umgewälzt würden, damit etwas einmalig Neues entstehen kann, ein friedliches, kreatives Zusammenleben von Gleichen, in der der Mensch nicht mehr des Menschen Wolf ist.

Die Perspektive würde eine Gemeinschaft sein, in der „die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“.

(6) Gisela May (oder: Grenzgänger) singt die Resolution der Kommunarden (Brecht/Eisler)

Nur Lied

Resolution der Kommunarden

1. In Erwägung unserer Schwäche machtet ihr Gesetze, die uns knechten soll’n
die Gesetze seien künftig nicht beachtet in Erwägung, daß wir nicht mehr Knecht sein woll’n.

Refrain: In Erwägung, daß ihr uns dann eben mit Gewehren und Kanonen droht
haben wir beschlossen, nunmehr schlechtes Leben mehr zu fürchten als den Tod.

2. In Erwägung, daß wir hungrig bleiben wenn wir dulden, daß ihr uns bestehlt
wollen wir mal feststell’n, daß nur Fensterscheiben uns vom Brote trennen, das uns fehlt.

3. In Erwägung, daß da Häuser stehen während ihr uns ohne Bleibe laßt
haben wir beschlossen, jetzt dort einzuziehen weil es uns in uns’ren Löchern nicht mehr paßt.

4. In Erwägung, es gibt zuviel Kohlen während es uns ohne Kohlen friert
haben wir beschlossen, sie uns jetzt zu holen in Erwägung, daß es uns dann warm sein wird.

5. In Erwägung, es will euch nicht glücken uns zu schaffen einen guten Lohn
übernehmen wir jetzt selber die Fabriken in Erwägung, ohne euch reicht’s für uns schon.

6. In Erwägung, daß wir der Regierung was sie immer auch verspricht, nicht trau’n
haben wir beschlossen, unter eig’ner Führung uns nunmehr ein gutes Leben aufzubau’n

7. In Erwägung, ihr hört auf Kanonen and’re Sprachen könnt ihr nicht versteh’n
müssen wir dann eben, ja das wird sich lohnen die Kanonen auf euch dreh’n!

Nach den 72 Tagen der Pariser Commune hat die Bourgeoisie sich für die kurze Zeit ihrer Niederlage fürchterlich gerächt: Mit Erschießungen, Inhaftierungen, massenhaften Zwangsdeportationen – und den oft, aber nie gänzlich gelingenden Versuchen, die Erinnerung an diese verheißungsvoll aufblitzende Zukunftsvision auszulöschen. Daran arbeitet sie bis heute, und nicht nur die französisch Bourgeoisie, wie wir wissen.

Dennoch: Keine 50 Jahre später begann das bis dahin größte, aufregendste Experiment: Die Oktoberrevolution in Russland. Dazu aus dem Jahr 1918 von Wladimir Majakowski der Linksmarsch. Wieder von Ernst Busch gesungen.

Nur Lied

Linker Marsch (1918)

Entrollt euren Marsch,

Burschen von Bord!

Schluß mit dem Zank und Gezauder.

Still da, ihr Redner!

Du hast das Wort,

rede, Genosse Mauser!

Brecht das Gesetz aus Adams Zeiten.

Gaul Geschichte, du hinkst …

Woll’n den Schinder zu Schanden reiten.

Links!
Links!
Links!

Blaujacken, he!

Wann greift ihr an?

Fürchtet ihr Ozeanstürme?!

Wurden im Hafen euch eurem Kahn

rostig die Panzertürme?

Laßt
den britischen Löwen brüllen –

zahnlosfletschende Sphinx.
Keiner zwingt die Kommune zu Willen.

Links!
Links
Links!

Dort
hinter finsterschwerem Gebirg

liegt das Land der Sonne brach.

Quer durch die Not

und Elendsbezirk

stampft euren Schritt millionenfach!

Droht die gemietete Bande

Mit stählerner Brandung rings, –

Russland trotzt der Entente

Links!
Links!
Links!

Seeadleraug’ sollte verfehlen?!

Altes sollte uns blenden?

Kräftig
der Welt ran an die Kehle,

mit proletarischen Händen.

Wie ihr kühn ins Gefecht saust!

Himmel, sei flaggenbeschwingt!

He, wer schreitet dort rechts raus?

Links!
Links!
Links!

            (7) Ernst Busch, Linksmarsch                                                    

Aus Deutschland kam den Revolutionären in Russland nicht nur der Genosse Mauser zu Hilfe. Aus dem imperialistischen Deutschland kamen im Ersten Weltkrieg die feindseligen deutschen Generale mit ihren Truppen, um sich ein großes Stück aus dem zaristischen-russischen Kuchen abzubeißen und die Arbeiter- und Bauernrevolution im Blut zu ersticken. Bald danach, im Zweiten Weltkrieg, kamen die deutschen Faschisten. Sie wollten zu Ende bringen, was im Ersten Weltkrieg nicht gelungen war. Und Millionen von Zivilisten der Sowjetunion, viel mehr Zivilisten als Soldaten, fielen ihnen zum Opfer.

Daran will ich mit dem Partisanenlied von der Soija erinnern: Soija Anatoljewna Kosmodemjanskaja. Geboren 1923, von der deutschen Wehrmacht ermordet 1941.

Vortrag und Lied

Lied von der Soija

Schweigen – keine Lichter, keine Laute,

und im Dämmern ruhig schläft der Tann.

In das Hinterland, bevor es graute,

rückte still und stumm der Partisan.

Alte gingen, junge Komsomolzen,

Kinder, Brüder, Schwestern Hand in Hand.

Unter ihnen auch ein junges Mädchen

von erst 17 Jahren sich befand.

Trug das Mädchen einen alten Kalpak,

zerschnitt Drähte, steckte Brücken an.

Stolz ist die Abteilung auf die Soja,

Komsomols aus Moskau, Partisan.

Aber folgendes geschah im Winter…

Als der Feind ging, hat das Dorf gebrannt.

Die Faschisten hängten auf die Soja,

Morgendämmerung trat weiß ins Land.

Du bist tot, und doch in unserm Volke

lebst du junge Heldin ewig hier.

Und wir schwören dir, geliebte Soja:

Rache am Faschisten nehmen wir!

(8) Russischer Chor: Lied von der Soija

Die Oktoberrevolution und später auch der Sieg über den Faschismus haben die um ihre Unabhängigkeit und Freiheit kämpfenden Völker in aller Welt beflügelt. Die Macht der Kolonialherren war erschüttert, geriet ins Schwanken, stürzte hier und da schon zusammen. Die Kommunistische Partei der Sowjetunion wurde zum Vorbild und Ratgeber, die Sowjetunion zum „sicheren Hinterland“ für die jungen Befreiungsbewegungen und kommunistischen Parteien. Auch in der Türkei.

Doch in allen Ländern, wo große Unterdrückung und Armut den Freiheitskämpfern eine starke Motivation gaben, reagierten die Herrschenden, unterstützt von imperialistischen Staaten, mit ungeheurer Brutalität. Auch in der Türkei. Dazu das Gedicht von Nazim Hikmet, Für die Fünfzehn. Es wurde von Tahsin Incirci vertont. Es spricht von der grausamen Mordtat am Gründer der Kommunistischen Partei der Türkei, Mustafa Suphi, der 1921 zusammen mit 14 Genossen unter Umständen ermordet wurde, die bis heute nicht gänzlich geklärt sind. Ihre Leichen waren von den Mördern ins Schwarze Meer geworfen worden.

Vortrag und Lied

Nazim Hikmet

Für die Fünfzehn

Augen, die länger ins Feuer schauen, sie tränen nicht,

der Kopf mit dem roten Stern auf der Stirn – zum Gebet beugt er sich nicht,

Trauer für die Gefallenen tragen die Kämpfenden nicht.

Wenn aber doch ein Blitz die Finsternis zerreißt

und die Glocke am tauben Himmel zum wilden Läuten bringt,

gedenken wir des letzten Aufschreis aus euren Herzen.

Verneige dich, du alte Welt, vor der neuen Welt!

Wenn du auch einige Genossen aus unserer Mitte herausreißt,

Und was auch immer du tun wirst, – unser Ziel erreichen wird doch.

Höre, Schwarzes Meer! Deine Tiefen sollen dies hören:

Bemächtigen werden wir uns des Dolches,

der jene glühenden Herzen durchbohrt hat.

(9) Nazim Hikmet, Tahsin Incirci, Türk. Arbeiterchor Berlin

Um ihr Überleben als Völker mit eigener Geschichte, Sprache und Kultur zu sichern, nahmen auch andere Völker in der Türkei, die aus dem Vielvölkerstaat Osmanisches Reich hervorgegangen ist, den Kampf um ihre Autonomie und Selbstbestimmung auf. Insbesondere die Armenier und die Kurden. Deren Geschichte, deren Kämpfe und Opfer bis in die Gegenwart darzustellen, ist hier nicht möglich. Was die Armenier der Türkei anlangt, möchte ich nur an zwei denkwürdige Ereignisse erinnern: den Völkermord an den Armeniern (1915/16) und die Ermordung des Journalisten Hrant Dink im Jahr 2007. Leider haben wir im Internet Musik aus dem Armenischen Oratorium nicht finden können.  Stattdessen spielen wir ein Musikstück mit der armenischen Flöte Duduk.

Anschließend folgt ein Auszug aus dem Gedicht des kurdischen Schriftstellers Cigerxwun: „Kî me ez?“ Wer bin ich? und das Lied, gesungen von dem armenischen Sänger Aram Tîgran, „Es ist Newroz“, das auf ein Gedicht von Cigerxwun zurückgeht. Arams Lieder handeln von Geschichte und Geschichten in Armenien und in Kurdistan und er hat sie nicht nur auf Armenisch sondern auch auf Kurdisch gesungen.

(10) Duduk-Musik, Arsen Petrosyan

Nur Vortrag

Cigerxwun: Kî me ez? Wer bin ich?

Mein Großvater, der Schmied Kawa

Zermalmte den Kopf des Feindes Dahak

Vom Kurdenhals

Brach er die Kette

Rettete er unser Haupt

Vor Verletzung und Schwert

Den Tag, an dem der herzblinde Blutsauger getötet wurde

Bezeichnet man als: Einen neuen Tag

Der Winter geht zu Ende

Jene unerfreulichen Tage

Die Kurden werden geschützt

Vor dem schrecklichen Ungeheuer

So sagt der weise Zarathustra

Ahriman wird besiegt, Hurmoz beherrscht den Schauplatz

Wer bin ich?

Ich bin derjenige, der dieses Fest und Newroz vollbrachte

Ich muss es zurückerobern

Ich darf nicht so bleiben

Ich muss Vergeltung üben und die Sache in die Hand nehmen

Ich muss der Befehlshaber

In Kurdistan sein

Mir müssen

Diese Haine und Gärten bleiben

Diese Gipfel und Ebenen

Diese Weinberge und grünen Wiesen

Muss ich in meiner Hand festhalten

Herzensfroh und heiter

Wissend und studierend

Große Industrieanlagen errichten

Dieses Land aufbauen

Es hell erleuchten

Wer bin ich?

Übersetzung:  Gundi

Vortrag und Lied

Auf Cigerxwun geht auch folgendes von Aram Tigran gesungene Newroz-Lied zurück:

Es ist Newroz, es ist Newroz

Es ist Newroz, es ist Newroz

Es ist Morgen, es ist Newroz

Geliebte, gibt mir ein Küsschen

Dein Fest ist froh

Es ist Newroz, es ist Frühling

Blätter sind Rose und Baum gewesen

Reiche Rosen und Tulpen

Meine Hand in der Hand der Geliebten

Es ist Newroz und es ist Neuigkeit

Es ist bunter Frühling

Grün und rot und blau ist

Der bunte Teppich.

Übersetzung: Ewdil Ararat

(11)  Aram Tigran, Newroz

Für die hier lebenden Freunde, Genossinnen und Genossen aus der Türkei, für alle hier, die ihre Heimat und geliebte Menschen dort in der Ferne zurücklassen mussten, habe ich das kurdische Lied „Ciyayên me“ – unsere Berge ausgesucht. Es wird von Koma Amed gesungen.

Vortrag und Lied

Ciayên me – unsere Berge

Schnee ist auf unsere Berge gefallen – es wurde weiß.

Ich bin fern von dir, du bist fern von mir – es wurde weiß.

Winterzeit – wurde weiß. 

Der Frühling kam in unser Dorf. Da wurden unsere Berge rot und gelb.

Ich bin fern von dir, du bist fern von mir – es wurde weiß.

Winterzeit – es wurde weiß.

Ich bin verwundet, ich mache das nicht.

Ich akzeptiere dieses Leben nicht.

Ich bin fern von dir, du bist fern von mir – es wurde weiß.

Winterzeit – es wurde weiß.

Eigene Übersetzung

 (12) Koma Amed, Ciyayên me

Als Terroristen und Spalter einer angeblichen türkischen Einheit werden die Kurden in der Türkei mit allen erdenklichen Methoden durch den türkischen Staat ausgegrenzt, verfolgt, unterdrückt, ermordet. 1984 hat die PKK dagegen den bewaffneten Kampf aufgenommen – und sie führt ihn bis heute fort, obwohl 1998 ihr Führer, Abdullah Öcalan, verhaftet wurde und seither in Einzelhaft gehalten wird.

In das Gedenken an unseren verstorbenen Kîkan möchte ich einbeziehen seine Angehörigen, die wegen ihres Kampfes um die Rechte der Kurden vom türkischen Staat, seiner Polizei, seinen Spezialeinheiten, seiner Armee verfolgt, terrorisiert und ins Gefängnis gesperrt wurden. Sie wurden verhört und gefoltert, wieder eingesperrt, drangsaliert, erschossen oder verschleppt. Zum Teil sitzen sie auch heute noch in Gefängnissen. Viele von ihnen habe ich kennen gelernt, als sie noch Kinder oder Jugendliche waren. Junge Menschen, lernbegierig, fleißig, mutig, gerechtigkeitsliebend – wie einst ihr Onkel oder Großonkel Kîko. Viele von ihnen sind „in die Berge gegangen“, wie es bei den Kurden heißt, wenn sich jemand dem bewaffneten Kampf anschließt. Oder sie haben auf andere Weise den Kampf unterstützt. Viele von ihnen haben ihr Leben oder ihre Zukunft verloren, bevor sie erfahren konnten, was das Leben außer Unterdrückung und Kampf noch alles sein kann.

In das Gedenken möchte ich auch Kîkos Mutter einbeziehen, die als Kind – wie die anderen Einwohner von Amed/Diyarbakir – außerhalb der Stadtmauer den gehenkten, am Galgen hängenden Scheid Said und seine Mitkämpfer ansehen musste. Kîkos Mutter hat sich bis an ihr Lebensende geweigert, auch nur ein einziges türkische Wort zu sprechen.

Zeit zu erinnern, Zeit zu trauern. Ein Jegliches hat seine Zeit auf Erden – wie es in dem Lied von Hannes Wader heißt. „Zeit zu gewinnen, Zeit zu verliern, …  Zeit des Zorns, Zeit der Gewalt … Zeit für den Sieg“. Doch ohne Kämpfe wird die Zeit für den Sieg nicht kommen, für den “Sieg des Friedens in der Welt über den Krieg“. Ich schließe mit der kurdischen Nationalhymne Ey Raqib und dem Parteilied der TKP.

(13) Kurdistan Milli Marsi- Ey Raqib

(14) TKP Marsi, Unknown artists

Jutta von Freyberg, 2022

Rede bei der Gedenkveranstaltung zu Ehren

unseres Freundes Kîkan und Genossen Şiko

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und, Freunde liebe Angehörige und liebe Jutta,

mit unserer heutigen Veranstaltung gedenken wir unseren lieben Genossen Kikan, Siko, der am 20.11.2021 von uns weggegangen ıst. Am 11. Januar dieses Jahres hatten wir uns von ihm in St. Hedwig Friedhof verabschiedet. Wegen Pandemie konnten wir damals keine Gedenkveranstaltung durchführen. Jetzt holen wir das nach.  

Wenn ich über sein Leben berichte, bleibt mir oft nichts anderes übrig, als in den sogenannten „alten Begrifflichkeiten und Wendungen“ der kommunistischen Bewegung, des Maxismus-Leninismus zu sprechen. Sie hören sich in den Ohren der jüngeren Generationen fremd an, vielleicht sogar befremdlich, aber sind sie überholt? Sind sie durch unsere Fehler, die wir zweifellos gemacht haben, verdorben? Oder müssen wir sie nur mit neuem Geist, neuen Energien anreichern? Sind sie überflüssig geworden, weil alles gut ist? Wir alle wissen, es ist nicht alles gut, im Gegenteil! Was sich Kîkan-Şiko vorgenommen hat, ist nicht erledigt.

Er ging von uns weg, aber hinterlässt uns ein kampferfülltes Leben, und ich wünsche mir, wir alle könnten aus seinen Erfahrungen lernen, von seinem Leben mit Höhen und Tiefen. Denn selbst in den Tiefen ist er der gerechten Sache des Proletariats und dem weltweiten Klassenkampf und dem Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit treu geblieben. Das konnte er, weil er sich den Prinzipien des Marxismus-Leninismus und des proletarischen Internationalismus verpflichtet hatte. Er war ein Internationalist. Und wenn er – trotz alle ihrer Schwächen – konsequent die Sowjetunion, die DDR und die anderen sozialistischen Länder verteidigte, wusste er:  Die Aggressivität des Imperialismus, die zügellose Ausbeutung und Unterdrückung der werktätigen Menschen, der Völker, die Ausplünderung der Erde durch das Kapital konnten nur durch den Realsozialismus gebändigt werden.

Mit dem Scheitern des Realsozialismus ging das Kapital weltweit zur Gegenoffensive über und beseitigte nicht nur in jenen Ländern fast alle humanen Errungenschaften der Menschheit, sondern leitete auch einen antikommunistischen „roll back“ in den entwickelten kapitalistischen Ländern ein. Dieser „roll back“ überzieht die Welt erneut mit Krieg und Terror, auch wenn er sich als „Krieg gegen den Terrorismus“ ausgibt. Die Menschheit droht, erneut in Barbarei zurückzufallen.  Dies erleben wir heute in der Ukraine. Dieser Krieg in der Ukraine, der anscheınend mit dem Angriff Russlands begonnen haben soll, wurde durch den US-Imperialismus aufgezwungen, um seine Hegemonie in der Welt aufrechterhalten zu können.

Die Niederlage und den Verlust des Realsozialismus im Systemkampf konnte Kîkan- Siko nur schwer verkraften. Er sah, wie Genossen und Genossinnen sich opportunistischen und reformistischen Konzepten anschlossen, die kommunistischen Bewegungen desorientierten und sogar verächtlich machten, wenn sie sich auf die Seite des Siegers begaben. Sie meinten, dieser sei der endgültige Sieger der Geschichte. Kîko schmerzte die Einsicht sehr, dass durch die Aufgabe des Marxismus-Leninismus und all seiner historischen Erfahrungen der Kampf gegen schädliche ideologische Kompromisse doppelt schwer wurde. Aber dies verschärfte seinen Kampfeswillen und er blieb seiner Sache bis zum Schluss treu.

Er war ein streitbarer und hartnäckiger Kommunist. Er war kompromisslos, wenn es um die Prinzipien des Marxismus-Leninismus ging. Auch in den eigenen Reihen hat er sich nicht nur Freunde gemacht, wenn er unbeugsam gegen all jene kämpfte, deren politische Orientierungen und persönlichen Interessen den Kampf in die Sackgasse führen mussten: seien es Revisionisten und Reformisten, Nationalisten und Chauvinisten, Karrieristen und Opportunisten. So die damalige Begrifflichkeit. ER hielt dagegen: Kommunisten müssen verstanden haben und dazu bereit sein, den Umsturz der alten Ausbeutergesellschaft nicht auf dem ausschließlichen Weg kleiner Reformschritte zu bewerkstelligen. Kommunisten haben die feste Überzeugung, dass für diesen schweren Weg die Erkenntnisse der marxistisch-leninistische Theorie hilfreich und gültig sind, dass sie große Opfer auch an Lebensqualität für die eigene Person zu bringen bereit sein müssen. Und Kommunisten halten sich mit großer Standhaftigkeit davon fern, sich an die Ideen der Herrschenden anzubiedern, insbesondere an ihre nationalistische und rassistische Überheblichkeit, ihre Anmaßung, kleinere, schwächere Völker zu unterdrücken: denn sie wissen, welchen unermesslichem Schaden sie andernfalls der kommunistischen Bewegung zufügen würden. Genossen, die ihre persönliche Karriere, ihre Sucht nach öffentlicher Anerkennung in den Vordergrund stellten, sind immer offen für alle diese negativen Denk- und Verhaltensweisen. So das scharfe Urteil Kîkos – Şikos.

Er war aber gleichzeitig äußerst flexibel, wenn es um breite Bündnisse ging, die für den Kampf um die Interessen der Arbeiterklasse oder für die Freiheit des kurdischen Volkes zu mobilisieren waren. Der Erfolg des Klassen- und Freiheitskampfes erforderte beides, eine ideologisch gefestigte, disziplinierte marxistisch-leninistische Organisation und ein breites Bündnis mit allen demokratischen und revolutionären Kräften. 

Er war ein kurdischer Kommunist und fand den Weg zur Kommunistischen Partei der Türkei, der TKP. Er wurde Mitglied des Zentralkomitees und des Politbüros. Entsprechend verantwortungsvoll und wichtig war sein Beitrag zum Neuaufbau der Partei in den 70er Jahren. In diesem Kontext war sein Kampf gerichtet gegen Imperialismus und Kolonialismus, gegen Ausbeutung und Unterdrückung in der Welt und in der Türkei. Es ging um den Klassenkampf und um die Freiheit und Gleichheit des kurdischen wie des türkischen Volkes und der anderen Völker der Türkei, um ihren freien Willen für ein friedliches Zusammenleben in einer demokratischen Republik.

Die Türkei, die immer ein despotischer Staat war, entstand in der letzten Phase des Osmanischen Reiches durch die Ausrottung und Vertreibung des armenischen, des griechischen, des kurdischen Volkes und der anderen Völker in Anatolien. Sie wurde für diese Völker zum Gefängnis, zur Hölle. Dieser Charakter des Staates wurde später untermauert und verschleiert durch die NATO-Mitgliedschaft und durch die Integration der Türkei in die westlichen Bündnisse. In einer Phase der weltweiten Auseinandersetzung zwischen dem Sozialismus und Kapitalismus war die Befreiung der Völker der Türkei vom Ausgang des weltweiten Systemkampfs abhängig. Nur der Sozialismus war auch die Rettung für die Völker der Türkei aus der imperialistischen Sklaverei, aus den Klauen des kemalistischen türkischen Staates. Für die meisten fortschrittlichen Kräfte in der Türkei war es deshalb selbstverständlich, für den Sozialismus Partei zu ergreifen und in der Kommunistischen Partei der Türkei zu kämpfen.

Als die Partei 1973 einen Aufschwung zum Aufbau der Partei startete, bestand das Politbüro aus 4 Genossen, aus einem Lasen, Genosse Bilen, aus einem Armenier, Genosse Aram Pehlivanyan, aus einem Kurden, Şiko Yoldas und aus einem Yörüken, Yelkenci Yoldas. Dieser Zusammensetzung war nicht zufällig, sondern eine Widerspiegelung der Völker der Türkei, die sich entschieden hatten, den Kampf für Freiheit, Demokratie und Sozialismus gemeinsam zu führen, weil er nur so erfolgreich sein konnte.

Genosse Şiko kam nach seinem Pass am 7. April 1943 in der kurdischen Metropole Amed, Diyarbaki-Alipinar, zur Welt. In seiner Kindheit und Jugend erlebte er die Repressionen des türkischen Staates am eigenen Leibe. Es gibt bis heute wohl kaum ein kurdisches Kind, das nicht die Stiefeltritte der Soldaten, die schmerzhafte, kränkende Abwertung der eigenen Kultur und Sprache, die brutale Willkür des aggressiven Türkentums erlebt hat. Das heißt: entweder Assimilation bis zur Selbstaufgabe oder – im Extremfall – Haft, Folter, Tod oder der Aufstand.

Als er mit 7 Jahren in die Schule kam, konnte er kein Wort Türkisch. Er musste seine Muttersprache Kurdisch unter den Schlägen des Lehrers bis zum Vergessen aufgeben. Das erzwungene Verlernen und Vergessen der Muttersprache, die die Identität eines Menschen, eines Volkes ausmacht, bildet bis heute den Kern der Assimilationspolitik des türkischen Staates in Kurdistan und ist eine Quelle schwerer seelischer Beschädigungen auf Seiten des Kurdinnen und Kurden.

Kîko war wissbegierig, lernte schnell, ging erfolgreich durch dieses türkische Schulsystem, lernte im Berufsinstitut den Tischlerberuf und erlangte Fachabitur. Zum Studium ging er nach Istanbul. Wissbegierde und Lernen begleiteten ihn sein Leben lang.

Während seiner Jugendzeit hatte ihn die Wut gegen die türkische Unterdrückung nie verlassen. Im Gegenteil, sie hatte sich vertieft und zu Überlegungen geführt, wie das türkische Joch von seinem Volk abgeschüttelt werden könnte. Er nahm in Istanbul an linken Studentenbewegungen teil und wurde Mitglied der Arbeiterpartei der Türkei TIP, in der auch die meisten linken und demokratischen Kurden organisiert waren. Doch er war dort nicht zufrieden, war nicht mit allem einverstanden. Ihm dämmerte mehr und mehr die Einsicht, dass die Befreiung der Völker, auch des kurdischen Volkes und der anderen Völker der Türkei, nur dann möglich wird, wenn der Kampf zwischen dem kapitalistischen und dem sozialistischen System weltweit zu Gunsten des Sozialismus entschieden wird. Er nahm Partei für den Sozialismus und für die Sowjetunion. Und das hieß unter den damaligen Bedingungen: Um für den Sozialismus zu kämpfen, musste man sich in der Kommunistischen Partei der Türkei organisieren.

Aber die Kommunistische Partei der Türkei war illegal und nach der großen Verhaftungs- und Liquidationswelle in den 50er Jahren existierte sie hauptsächlich im Ausland, in der DDR mit einem Sender „Bizim Radio“ und mit einigen Publikationen. Şiko entschied sich, die Partei zu suchen, zu finden und in ihren Reihen zu kämpfen. Er gab in Istanbul – sozusagen mitten in den Abschlussprüfungen – sein Studium auf und ging als Gastarbeiter nach Deutschland. Er kam nach Stuttgart, arbeitete bei Lorenz und suchte nach Kommunisten, die damals auch in Deutschland schwer zu finden war. Die KPD war verboten und die DKP war noch nicht gegründet.

Aber gerade in dieser Zeit erlebte die 68er Bewegung in Deutschland ihren Höhepunkt in Westberlin. Dort gab es unter den Studenten und Gastarbeitern aus der Türkei eine starke linke sozialistische Gruppe, die in der TTO (Türkische Sozialistengemeinschaft) und in der ATTF (Föderation der Türkischen Sozialisten in Europa) organisiert war und auch mit der deutschen 68er Bewegung zusammenarbeitete. Einige Mitglieder der Gruppe pflegte auch eine Verbindung zur Kommunistischen Partei der Türkei in der DDR. Şiko gab die Arbeit in Stuttgart auf und kam nach Westberlin und schloss sich der Westberliner Gruppe an. Er arbeitete in einer Elektrofirma und trieb unter den Gastabeitern sozialistische Propaganda. Er konnte zu den Arbeitern leicht Verbindungen knüpfen, mit ihnen enge Freundschaften schließen und ihnen erfolgreich erklären, dass die Befreiung der Arbeiter nur ihr eigenes Werk sein kann und dass sie sich in sozialistischen Vereinen und der Kommunistischen Parteien organisieren sollen.

Er hat zur Stärkung und ideologischen Festigung der Sozialistengemeinschaft in Westberlin einen großen Beitrag geleistet. Es war sein Verdienst, dass die türkischen Sozialisten angefangen haben, sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen und zu erkennen, dass die Türkei kein homogener Staat der Türken ist, sondern ein Vielvölkerstaat, in dem die nicht-türkischen Völker gnadenlos unterdrückt sind; dass der türkische Staat an den Armeniern und an anderen Völkern Völkermord begangen hat und heute an Kurden immer noch begeht. Şiko machte sich dafür stark, dass sich die Vereine nicht türkische Vereine nennen, sondern Vereine der Arbeiter und Studenten aus der Türkei. Nur so könnten alle Nationalitäten angesprochen werden. Danach haben viele Vereine ihren Namen geändert.

Über die Westberliner Gruppe nahm Şiko Kontakte zur TKP auf und zwar zu dem 1. Sekretär der Partei, Yakup Demir (Zeki Bastimar) und zu dem Genossen Bilen und Aram, Mitglieder des Politbüros. Gen Bilen gab Kîko, damals noch Ali, den Parteinamen Şiko; nach dem Vorbild des realen Şiko, der im Gefängnis von Diyarbakir wegen einer Rebellion gegen den türkischen Staat und seine Lakaien saß. Bilen hatte mit ihm in den 30er Jahren im Gefängnis von Diyarbakir eine Zelle geteilt und ihm damals versprochen, sich für die Sache der Kurden einzusetzen. Er wollte, dass wir, die junge Generation, dieses Versprechen einhalten sollten.

Nach dem Beitritt in die Partei arbeitete Şiko in Westberlin weiter. Am Anfang der 70er Jahre schickte ihn die Partei zum Studium zur Parteihochschule „Dimitrof“ nach Sofia, Bulgarien. Nach der Rückkehr wurde er Parteiarbeiter, Instrukteur für die Organisierung der Parteizellen in Westeuropa. 1973 fand ein Wechsel und Erneuerung an der Parteiführung statt. Wegen seiner schweren Krankheit wurde Yakup Demir von seiner Funktion als 1. Sekretär abgelöst, Bilen wurde Generalsekretär der Partei. Er hat sofort das Politbüro um zwei Mitglieder erweitert, einer von diesen war Şiko. Das neue Politbüro beschloss , ein Zentralorgan, die Zeitung ATILIM, herauszugeben, eine neue Parteisatzung und ein neues Parteiprogramm zu erarbeiten, eine arbeitsfähige Parteiorganisation im Inland und im Ausland zu schaffen und dann eine Parteikonferenz einzuberufen. Am Anfang sollte die Schaffung einer Parteiorganisation in Westdeutschland stehen, gebildet aus Gastarbeitern und Studenten. Sie sollten als Brückenkopf zur Türkei fungieren. Diese Arbeit übernahm Şiko. In unserer Parteigeschichte haben wir diese Epoche als 1973er Atilim, Aufschwung der Partei, genannt.

Gerade in dieser Zeit hat sich die Führung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) an die TKP-Führung gewandt und bat, für die Organisierung der Gastarbeiter einen verantwortlichen Genossen der TKP zu benennen, der für die DKP der kompetente Ansprechpartner sein sollte. Auch mit dieser Aufgabe wurde Şiko betraut. Durch die Schaffung einer schlagkräftigen Parteiorganisation hat die DKP tatkräftig uns unterstützt. 

In dieser Phase also ist die TKP sozusagen wie ein Phönix aus der Asche auferstanden. Wir haben über Satzung und Programm diskutiert und führten eine Parteikonferenz in Moskau durch, auf der das Parteiprogramm und die Satzung angenommen und die Parteiführung bestätigt wurden. Wir nahmen aktiv am politischen Leben in der Türkei teil und wirkten mit bei den Kämpfen der Arbeiter und Bauern, der Jugend und Frauen, Intellektuellen und Kulturschaffenden, an den Kämpfen der kurdischen und anderen Völker für ihre Rechte, für Freiheit und Demokratie sowie bei der Organisierung der großen 1. Mai-Demonstration der DISK- Gewerkschaft in Istanbul mit. Aber wir, das heißt: unsere Partei, waren nach wie vor illegal – und das nicht nur in der Türkei. Trotzdem gewannen wir an Stärke und wir sahen die Notwendigkeit, Führungskräfte auf den verschiedenen Ebenen der Partei personell zu verstärken. Sie mussten ausgebildet und ideologisch geschult werden.

Şiko zog nun von Westdeutschland in die DDR um, damit er sich unmittelbar an den Diskussionen der Parteiführung beteiligen konnte. Natürlich gab es große Diskussionen und unterschiedliche Auffassungen darüber, wie diese Aufgaben gelöst werden sollten – insbesondere zwischen den Genossen Bilen und Şiko, wobei dieser mit seiner hartnäckigen Haltung damals viel Schaden von der Partei abwenden konnte. Das wurde von Bilen durchaus anerkannt.

Bevor die Arbeit der Parteiführung richtig in Gang kommen konnte, fand in der Türkei am 12. September 1980 ein Militärputsch statt. Jetzt mussten wir zunächst die Gründe der Niederlage analysieren, überlegen, welche Konsequenzen zu ziehen sind und wie die Parteiarbeit umgestaltet werden muss. Das Politbüro beschloss, dass gegen die Militärjunta ein breites demokratisches Bündnis im Ausland als Schwerpunkt der Arbeit organisiert werden muss. Dafür sollten insbesondere Mitglieder der geflüchteten Parteien und Organisationen gewonnen werden, aus der Arbeiterpartei TIP, aus der sozialistischen Arbeiterpartei TSIP und aus den kurdischen Parteien. Das wurde nun das neue Aufgabenfeld von Şiko, der sich wieder nach Westdeutschland und Westeuropa aufmachte.

Die Schaffung eines Bündnisses gegen die Militärjunta war kompliziert. Denn die Führungen von TIP und TSIP, Behice Boran und Ahmet Kacmaz, beanspruchten, dass ihre Parteien auch marxistisch-leninistische Parteien seien. Deshalb stehe nicht das Bündnis, sondern die Vereinigung der Parteien zu einer neuen kommunistischen Partei auf der Tagesordnung. Şiko hat sich vehement dieser Auffassung widersetzt. Er versuchte, ihnen begreiflich zu machen, dass der Kampf um die Demokratie in der Türkei die beiden Parteien als sozialistische Arbeiterparteien brauche. Bei der Mobilisierung der Massen gegen die Militärjunta hätten sie eine unermessliche Funktion und Bedeutung. Weder Boran noch Kacmaz konnte er davon überzeugen. Sie bestanden auf der Vereinigung mit der TKP. Bei den Gesprächen mit den kurdischen Revolutionären stellte Şiko fest, dass die PKK unter Öcalan eine neue, erstarkende demokratische Kraft darstellte. Seine Schlussfolgerung war: Die TKP muss ihre Haltung zur PKK neu überdenken. Damit löste er in der Partei eine lang anhaltende Diskussion aus.

Im Politbüro, in dem Şiko über seine Gespräche berichtete, fand er bei Bilen volle Zustimmung. Auch dieser sah in den Reihen von TIP und TSIP starke  kleinbürgerliche Kräfte, die vom Marxismus-Leninismus nichts wissen wollten. Aber die beiden Parteien sollten diese Kräfte an sich binden. Doch die Genossen aus der Türkei um Nabi Yagci plädierten für eine Vereinigung, während die Mehrheit des Politbüros erst dagegen war. Die Diskussionen über die Niederlage der Partei unter der Militärjunta verhärteten die „Fronten“ in der Partei. Damit es nicht zu einer Zerreißprobe komme, schlugen  die sowjetischen Genossen einen Wechsel in der Parteiführung vor: Nabi Yagci sollte neuer Generalsekretär werden und Bilen Ehrenvorsitzender. Die sowjetischen Genossen sprachen sich auch für eine Vereinigung mit den anderen Arbeiterparteien, mit TIP und TSIP, aus.

Şiko konnte sie, die sowjetischen Genossen, nicht überzeugen. Er beharrte darauf, dass die Vereinigung der Partei mit TIP und TSIP einer Liquidation unserer Partei, aber auch der beiden anderen Parteien zur Folge haben werde. Aber er unterwarf sich den Regeln der Parteidisziplin. 1983 fand der 5. Parteitag der TKP statt, auf dem sich Nabi Yagci zum Generalsekretär wählen ließ. Kurz nach dem Parteitag starb Genosse Bilen. So bekamen Nabi und die anderen Genossen endlich freie Hand, skrupellos den Weg der Zerstörung der TKP als kommunistische Partei weiterzugehen.

Nach dem Parteitag 1983 zog sich Şiko von der politischen Arbeit zurück, wie es sich für einen disziplinierten Parteisoldaten der alten Prägung gehörte. Er mischte sich nicht ein. Lehnte es auch ab, zur Gedenkveranstaltung für den verstorbenen Genossen Bilen zu kommen. Er begründete seine Absage: Jetzt, nach seinem Tod, wollt ihr Bilen ehren, bald werdet ihr ihn öffentlich verfluchen – und ich werde zu den Wenigen gehören, der Bilen vor euch in Schutz nimmt.

Genau so kam es. In den 90er Jahren war Nabi Yagci einer der Ersten, der Bilen verflucht und diskreditiert hat.

Er zog sich von der Parteiarbeit zurück und heiratete 1983 Jutta von Freyberg, die er während seiner Mitarbeit bei der DKP kennen gelernt hatte. Nun konnte er den vom dem türkischen Staat diktierten Nachnamen Durak ablegen und den schönen, adligen Familienname seiner Frau annehmen. Dann hat er auch noch seinen arabisch-muslimischen Vornamen Ali abgestreift und den väterlichen Stammesnamen Kîkan angenommen. So entstand sein neuer Name Kîkan von Freyberg. Dann ließ sich die Familie Freyberg in Frankfurt am M. nieder und ein Herr von Freyberg suchte eine Arbeit, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Bei der Suche nach einer Arbeit fiel ihm ein, dass er einen „ordentlichen“ Beruf, einen Tischlerberuf erlernt hatte – in Diyarbakir bei seinem armenischen Meister. Er war ein guter Möbelrestaurator. Er arbeitete erst bei einem Möbelantikhändler als Restaurator und eröffnete später in Neu Isenburg seinen eigenen Antikladen mit einer Restaurationswerkstatt mit dem schönen Namen „Antik im Hof“.

So vergingen die Jahre. Er näherte sich kurdischen Vereinen an. Er nahm nun auch vorsichtige Kontakte zu seiner kurdischen Familie auf, die er während der Jahre seiner aktiven Politik nicht hatte gefährden wollen.

Und dann kam das Jahr 1989, es war für ihn das schlimmste Jahr in seinem Leben. Mit dem Untergang des Realsozialismus und dem Fall der Berliner Mauer war seine, war unsere Welt zusammengebrochen. Resignation und Depressionen breiteten sich wie eine Pandemie unter uns, aber auch unter den deutschen und anderen Genossen aus. Aber er riss sich zusammen, kaufte 40 rote Nelken und fuhr zur noch bestehenden DDR-Grenze. Er verteilte die Nelken an die noch tätigen DDR-Grenzschützer und dankte ihnen für ihren Einsatz für den Frieden in Europa, der 40 Jahre durch die Existenz der DDR gesichert war. Die DDR war für uns, für die Kommunisten und Linken aus der Türkei, nicht nur ein sicheres Hinterland, sondern ein Heimatland neben der Türkei, die besonders für den Kurden Şiko eine feindselige, abweisende Heimat war und blieb. Später hat die Familie Freyberg die Wohnung in Frankfurt aufgegeben. Sie kaufte mit den Ersparnissen ein Häuschen in Falkensee in der Nähe von Berlin, in der früheren DDR, und lebte dort.

Er unterstützte in dieser Zeit mit ganzer Kraft den Freiheitskampf des kurdischen Volkes unter Öcalan. Als Öcalan 1998 aus Syrien ausgewiesen wurde und im November 1998 nach Rom kam, fuhr Şiko wie viele Kurden sofort nach Rom, um sich mit Öcalan zu solidarisieren. Für ihn war Öcalan der Führer des kurdischen Volkes. Er hatte das kurdische Volk wachgerüttelt und ihm vorgeführt, wie der Kampf gegen die Unterdrückungsmaschinerien des türkischen, syrischen, irakischen und persischen Staates geführt werden konnte. Als Öcalan nach einem internationalen Komplott von Kenia in die Türkei ausgeliefert wurde, als ihm der Prozess gemacht und er auf der Insel Imrali für den Rest des Lebens ins Gefängnis gesperrt wurde, haben viele kurdische und türkische Linke versucht, Öcalan zu diskreditieren und ihm die Führung des kurdischen Freiheitskampfes abzuerkennen. Für Şiko hingegen blieb Öcalan immer der Führer, der mit seinem Einsatz das Herz seines Volkes erobert und ihm die Hoffnung des Sieges über die Tyrannei gegeben hat – auch dann, als er als Geisel im Kerker des Feindes festgehalten wurde. Öcalan war und ist ein solcher Führer.

Es mussten noch 10 Jahre vergehen, bis er wieder öffentlich politisch aktiv wurde. Als 2001 eine halb trotzkistisch, halb linkskleinbürgerliche Gruppe in der Sozialistischen Machtpartei SIP den Namen unserer Partei TKP an sich gerissen hat, entschied sich Şiko, dass es nun legitim und notwendig sei, die Parteidisziplin aufzugeben. Und er begann erneut, den Kampf gegen alle diejenigen aufzunehmen, die den Charakter der kommunistischen Partei TKP endgültig zerstören wollten. Denn die Usurpation des Namens unserer Partei TKP geschah durch die Hilfe des türkischen Staates und mit der stillschweigenden Duldung von früheren Genossen. Wenn man bedenkt, dass in der Türkei die Gründung einer kommunistischen Partei immer noch verboten ist, dann versteht man die Dimension dieses schändlichen Komplotts. Mit staatlicher Förderung konnte nun eine staatstreue TKP, SIP-TKP genannt, legal arbeiten. Ihr Auftrag war, zugespitzt formuliert, die Spaltung der Arbeiter- und revolutionären Bewegung. Die nationalistische/kemalistische Politik der Niederschlagung der kurdischen Befreiungsbewegung sollte öffentlich gutgeheißen werden. So machte es sich die SIP-TKP an der Seite der Erdogan-Regierung bequem.

Unser Kampf erforderte jetzt, die TKP wieder auf die Grundlage des Marxismus-Leninismus und des proletarischen Internationalismus zu stellen. Insbesondere musste sie eine eindeutige Haltung zur Kurdenfrage einnehmen und das Selbstbestimmungsrecht des kurdischen Volkes bis hin zur Lostrennung konkret und aktiv verteidigen. Die alten, grundlegenden Prinzipien der kommunistischen Bewegung mussten wiederbelebt und den neuen Bedingungen angepasst werden. Wieder machte sich Şiko an die Arbeit, führte in der Türkei und in Deutschland mit den alten Genossen unzählige Sitzungen und Versammlungen durch und versuchte, oft vergeblich, sie aus ihrer Resignation wachzurütteln. Er wollte ihnen die Folgen der Irrwege der Partei in dem Vereinigungsprozess aufzeigen, um sie für den Neuanfangs zu gewinnen.

Diese Arbeit war ungleich härter als 1973 – und er war älter und zunehmend von der sich langsam anschleichenden Krankheit geschwächt. Und das in einer Zeit, die verlangte, buchstäblich „mit einer Nadel einen Brunnen auszuheben“. Er hat trotz allem damit angefangen. Und wenn wir, die Alten, wenn vielleicht auch die nächste oder sogar übernächste Generation es nicht schaffen werden, diese Arbeit in der Tradition von Mustafa Suphi und Bilen zum Erfolg zu führen, … eines Tages muss es uns doch gelingen.

Das soll unser Versprechen an den Genossen Şiko sein!

Savaş Yener