Interview mit dem Genossen M. Bayrak-2009

Interview mit dem Genossen M. Bayrak, der 2009 an dem UZ-Pressefest teilnahm

 

Genosse Bayrak, Sie hatten in den 70er und 80er Jahren an den UZ-Pressefesten als Vertreter der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP) teilgenommen. Vor 20 Jahren vereinigten sich die TKP und die Arbeiterpartei der Türkei (TIP) und gründeten die Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei (TBKP). Über 20 Jahre nach dieser Vereinigung nehmen Sie wieder in diesem Jahr an dem UZ-Pressefest teil und vertreten das Komitee zur Verteidigung der KP der Türkei. Was ist in diesen Jahren vorgekommen?

 

Die Vereinigung wurde damals unter dem Druck der sowjetischen Führung unter Gorbatschow beschleunigt und dann in Moskau in der Illegalität vollzogen. Es wurde beschlossen, die TBKP in der Türkei legal zu gründen. Kurz vor der Vereinigung waren die Generalsekretäre der beiden Parteien Yagci und Sargin in die Türkei zurückgekehrt und verhaftet. Durch eine massive internationale Solidarität und insbesondere die der DKP wurden die beiden freigelassen.

 


 

Die TBKP wurde in der Türkei legal gegründet und beim Innenministerium angemeldet. Sie wurde aber nicht zugelassen. Danach hatte sich die Führung mit den anderen linken Parteien vereinigt und die neuen Namen wie „Sozialistische Einheitspartei“ und später „Vereinigte Sozialistische Partei“ angenommen. Der Fehler, der mit der Vereinigung mit der TIP begann, wiederholte sich unter dem Motto: Verwirklichung der „Einheit der Linkskräfte“, immer wieder und die Partei rutschte immer weiter nach rechts. In diesem Prozess sind die Verfechter der Vereinigung der TKP und TIP zu der Partei der „Neuen Demokratischen Bewegung“ (YDH) von Cem Boyner, einem Textil-Großunternehmer übergegangen. Die meisten restlichen Parteiführer vereinigten sich mit den kleinbürgerlichen, nationalistisch-kemalistischen und grünen Gruppierungen und gründeten die „Partei der Freiheit und Demokratie“ (ÖDP). Einige Mitglieder der Parteiführung wurden Kolumnisten der großbürgerlichen Zeitung wie „Referans“ und „Taraf“ sowie Berater des türkischen Unternehmerverbandes. Sie vertreten heute die imperialistische Ideologie des „Dritten Weges“ und des Pluralismus u.a. in der Türkei.

Was ist SIP-TKP?

 

In diesen Vereinigungsprozessen wurde unsere Partei TKP faktisch liquidiert. Die meisten Mitglieder wurden atomisiert. Einige Mitglieder, die von Anfang an gegen diese Vereinigung waren, haben verschiedene Versuche unternommen, die TKP wieder aufzubauen. Angesichts dieser Entwicklung hat eine Gruppe von den einigen früheren TIP-Mitgliedern, von Trotzkisten und von anderen Linkskräften sowie von einigen Leuten, die von unserer Partei ausgeschlossen waren, 2001 den Namen ihrer Partei SIP (Partei der sozialistischen Macht) in TKP umbenannt. Somit haben sie den Namen TKP zu ihrem Besitz erklärt. Obwohl die TKP immer noch verboten ist, sah der Generalstaatsanwalt keinen Anlass die Partei zu verbieten oder gegen sie eine Ermittlung einzuleiten, da die neuen Gründer nach ihm „gute Leute“ seien. Diese Partei hat mit unserer Partei weder geschichtlich noch inhaltlich programmatisch zu tun, sie bekämpft uns. Geschichtlich wurde die SIP 1993 gegründet, inhaltlich sagen sie „Nein zu EU-Mitgliedschaft der Türkei und Ja zur sozialistischen Revolution“ als nächste Hauptaufgabe.

 

Konnte der Prozess der Vereinigungen nicht angehalten werden?

 

Leider nicht. Dieses Vereinigungsthema war nicht neu. Die sowjetische Parteiführung hatte schon am Beginn der 60er Jahre angefangen, auf unsere Parteiführung im Exil Druck auszuüben, mit der inzwischen in der Türkei gegründeten TIP (Arbeiterpartei der Türkei) und mit anderen bürgerlich sozialistischen Kräften sich zu vereinigen. Dieser Druck erhöhte sich in den 70er Jahren und erreichte in den 80er Jahren mit Gorbatschow den Höhepunkt. Trotz dieses Drucks hat die Partei einerseits die Sowjetunion und das sozialistische System verteidigt, andererseits gegen diesen Druck bis 1983 Widerstand geleistet, in der Türkei unter Arbeitern und Gewerkschaften die Partei organisiert, sich mit der TIP und mit den anderen linken Kräften für eine Aktionseinheit eingesetzt. Sie verteidigte marxistisch-leninistische Positionen.

 

Nach 1983 blieben diese Kräfte in der Führung und insgesamt in der Partei in der Minderheit. Die sowjetischen Positionen gewannen die Mehrheit. Mit der Vereinigung fängt die Liquidation der Partei an. Die Parteistrukturen wurden zerstört und die marxistische Weltanschauung der Mitglieder wurde entwertet und durch bürgerliche Ideologien umgestaltet. Nach diesen Zerstörungen geht der Wiederaufbau jetzt sehr schwer voran. Die Partei muss wieder ideologisch, politisch und organisatorisch auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus konsolidiert werden. Zur Verwirklichung dieser Aufgaben haben wir angefangen die alten Mitglieder zu bewegen und die neuen Mitglieder zu gewinnen. Unser Ziel ist wieder unter den Arbeiter und Werktätigen, unter der Jugend- und Frauenbewegung, unter der Intelligenz, unter den kurdischen und anderen Minderheitsbewegungen Fuß zu fassen und die Partei wieder hochzubringen und Lehren aus den Fehlern zu ziehen. Wir möchten wieder eine starke politische Kraft in unserem Land, der Türkei werden. Die Aufbauarbeit läuft und geht weiter.

 

Die Arbeiterklasse und die werktätigen Massen unseres Landes brauchen unsere Partei in ihrem Kampf für die Demokratisierung der Türkei, für die Unterstützung des Kampfes des kurdischen Volkes für seine nationalen und demokratischen Rechte sowie für eine friedliche Lösung des Kurdenproblems mit der PKK, für ihre ökonomischen und sozialen Rechte sowie in ihrem Kampf gegen die Abwälzung der Lasten der globalen Krise auf das Volk. Diesen Kampf versuchen wir mit allen linken und demokratischen Kräften gemeinsam in einer Aktionseinheit zu führen.

 

Die KP der Türkei hatte damals in der Bundesrepublik eine starke Organisation. Was ist mit dieser Organisation geworden?

 

Die gleiche Entwicklung in der Partei spiegelte sich auch in der Parteiorganisation in der Bundesrepublik. Die gleichen Vereinigungsprozesse fanden auch in der Bundesrepublik statt. Die Parteiorganisationen wurden liquidiert und die Mitglieder ideologisch zersetzt. Aber einige Mitglieder sehen immer mehr ein, dass die Vereinigung mit der TIP ein großer Fehler war und vermissen jetzt die Partei und setzen sich für marxistisch-leninistische Positionen ein. Aber es ist uns klar, dass wir gegenwärtig nicht die Situation von 1970 haben. Damals war noch die Arbeitsmigration in der Gastarbeiterphase, in der Rotationsphase und die Arbeiter hatten starke Bindungen zur Türkei. Die KP der Türkei befand sich damals nach einer schweren Niederlage in den 50er Jahren in der Aufbauphase. Die Parteiführung im Exil brauchte einen Brückenkopf in Europa zur Türkei. Dieser Brückenkopf sollte unter den Gasarbeiter geschaffen werden. Unsere Parteiführung einigte sich mit der Führung der DKP, eine Parteiorganisation unter den Gastarbeitern in der Bundesrepublik zu schaffen. Mit Hilfe der DKP gründeten wir eine starke Parteiorganisation, die erst bei dem Aufbau der Partei in der Türkei und später unter dem Militärregime für die Schaffung einer Solidaritätsbewegung in der Bundesrepublik eine große Rolle gespielt hatte.

 

Heute haben wir eine andere Situation. Die neuen Generationen der Arbeitsmigration sind entstanden. Sie sind weder eine „Devisenmaschine“ der Türkei noch ein vorübergehendes Phänomen für die Bundesrepublik. Viele haben die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen und fühlen sich hier wohl und stellen einen Teil dieser Gesellschaft dar. Sie sind integriert und bilden in vielen Kindergärten und Schulen teilweise die Mehrheit. Sie sind nicht nur Arbeiter sondern nehmen auch am Geschäftsleben und anderem bürgerlichen Leben teil, aber bringen ein Haufen von Problemen mit, die sie von ihren Eltern geerbt haben und die neu entstanden sind. Der Einfluss des Islams und des türkischen Nationalismus haben zugenommen. Diese Entwicklung bildet ein Hemmnis für die volle Integration der neuen Generationen und erlaubt der türkischen Regierung ihre Lobbyarbeit zu stärken und der Bundesregierung die Duldung der fremdenfeindlichen Tendenzen.

 

Unter dieser Entwicklung haben die bürgerlichen Parteien von CDU, CSU und FDP bis SPD und Grünen sowie Die Linke angefangen, die Migranten zu organisieren, sie für ihre Partei zu gewinnen. Sie möchten die Migranten für ihren Wahlzweck ausnützen. Die Migranten als Arbeiter haben zwar ihre nationalen Besonderheiten, aber sie haben mit den deutschen Arbeitern große Gemeinsamkeiten und eine gemeinsame Arbeiterkultur. Damit sie sich dieser Gemeinsamkeiten bewusst werden und gemeinsam mit den deutschen Arbeitern für ihre eigenen Ziele kämpfen, brauchen sie eine kommunistische Partei. Diese Partei in diesem Land ist die DKP. Jede parallele oder getrennte politische Organisation der Migranten schwächt die Kraft, das gemeinsame Ziel zu erreichen. Deswegen sollen die Migranten, egal aus welchem Land sie kommen, sich an die DKP und an ihren befreundeten Organisationen anschließen. Die DKP ist in diesem Land die einzige Erbin der Traditionen von Marx und Engels, Lenin, Thälmann, die sie in nationaler und internationaler Ebene vertritt. Die Losung: Ein Land, eine Klasse, eine Partei finden wir heute wichtiger denn je.

 

Die Türkei möchte der EU beitreten. Dagegen gibt es in Europa und auch in der Türkei einen starken Widerstand. Was möchten Sie dazu sagen?

 

Die EU ist eine Organisation des europäischen Kapitals. Wir, die Kommunisten sind gegen das Kapital und gegen seine Organisationen, damit auch gegen die EU.

 

Mit der EU möchten die herrschenden europäischen Monopole ihre Positionen insbesondere gegen die USA auf der internationalen Ebene verbessern und bei der Verteilung der Energie und Rohstoffquellen der Welt ihren Anteil erhöhen. Da die Türkei zu den Ölgebieten der Welt im Nahen Osten, in Kaukasien und in Mittelasien nahe steht, versuchen die imperialistischen Zentren und die türkischen Machthaber diese „geo-strategische“ Lage des Landes für ihre Zwecke zu nutzen. Gegenüber der EU spielen sich die USA für die Türkei wie ein großer Bruder und Beschützer auf. In Europa wird der EU-Beitritt der Türkei für Innenpolitik ausgenützt. Diejenigen, die den Beitritt befürworten, argumentieren mit der „geo-strategischen“ Lage der Türkei. Die Neinsager begründen ihre Ablehnung damit, dass die Türkei als islamisches Land andere Werte hat als die Europäer und große „Defizite“ in der Entwicklung der Marktwirtschaft, in der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit besitzt. Insbesondere der CDU und CSU und den anderen europäischen christlichen Parteien passt ein islamisches Land nicht in die christliche EU.

 

In der Türkei benutzen die Neoliberalen Kräfte, insbesondere der größte Teil der Großbourgeoisie die „geo-strategische“ Lage des Landes für den Beitritt in die EU und versprechen dem Volk Wohlstand und Reichtum, Demokratie. Für sie und auch für die heutige islamische Regierung wäre die Türkei damit ein Beispiel für islamische Länder und eine Brücke zwischen der EU und islamischen Welt. Aber in der kurdischen Frage nehmen sie widersprüchliche Positionen ein und fördern die Islamisierung des Volkes. Die Gegner des EU-Beitritts der Türkei sind die Militärkreise, die CHP (kemalistisch-nationalistische republikanische Volkspartei), MHP (Nationalistische Bewegungspartei von Grauenwölfen), traditionelle faschistische Parteien und Bewegungen, nationalistische „Linke“ wie IP (kemalistisch-putschistische Arbeiterpartei) und SIP-TKP. Sie setzen sich für einen türkischen Unitärstaat und treten gegen die nationalen Rechte des kurdischen Volkes ein. Die Befürworter und Gegner im Inland und Ausland vertreten ihre eigenen Interessen und versuchen ihre Politik unabhängig vom Willen des Volkes durchzusetzen.

 

Die Türkei ist seit ihrer Gründung mit den politischen, militärischen und ökonomischen Einrichtungen des imperialistischen Systems gewachsen und ein Teil des kapitalistischen Systems geworden. Der EU-Beitritt ist weder eine Niederlage noch eine Befreiung für das Land. Als ein kapitalistisches Land möchte die Türkei der kapitalistischen EU als Vollmitglied beitreten. Dieser Beitritt bringt neue Widersprüche in das herrschende System in der Türkei. Diese Widersprüche im Lager der herrschenden Kräfte für die Erweiterung der demokratischen und ökonomischen Rechte der Arbeiter und des werktätigen Volkes zu nutzen, sind die Aufgaben der Kommunisten und der linken Kräfte.